Ausgelöst durch die Reportage „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ die am Mittwoch in der ARD ausgestrahlt wurde, kam ich doch schon ganz schön in’s Grübeln. Die Sendung zeigte, wie Leiharbeiter aus verschiedenen europäischen Ländern, die für das Weihnachtsgeschäft von amazon eingesetzt wurden, untergebracht sind und wie sie behandelt werden. Am besten Sie schauen sich die Reportage an.
Warum komme ich in’s Grübeln?
Weil ich bei amazon einkaufe, weil ich an amazons Partnernet teilnehme und weil ich amazon irgendwie gut fand. Das will mir nun so gar nicht mehr gelingen. Nun gehöre ich nicht zu den Menschen die schnell auf eine Protestwelle aufspringen, um dann nach wenigen Tagen zu vergessen worum es ging. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen die undifferenziert sofort jedem Hype Beachtung schenken. Ich nehme mir Zeit, recherchiere und schaue, was von dem, was im Moment im Zusammenhang mit amazon brodelt, für mich als Kunde noch akzeptabel ist.
Und ich merke, dass es, wäre ich selbst betroffen, für mich nicht ok wäre, wenn ich für ein Unternehmen arbeiten würde, dass sich die Freiheit nimmt eine Sicherheitsfirma zu beschäftigen, deren Mitarbeiter sich 24 Stunden lang das Recht herausnehmen, jede Form von Privatheit zu ignorieren. Wenn einzelne dieser Mitarbeiter Kapuzenpullover der Marke Thor Steinar tragen, die dem Neonazi Millieu zuzuordnen sind, dann erwarte ich schon vom Auftraggeber der Security Firma, in diesem Fall amazon, genauer hin zu schauen.
Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist, dass ich mir durchaus darüber im Klaren bin, dass billiger auch seinen Preis hat. Ein Preis ist sicher die große Zahl an Leiharbeitern die im Saisongeschäft eingesetzt werden. Amazon erwirtschaftete im 4. Quartal 2012 nach Angaben von Statista einen weltweiten Gewinn von 97 Millionen US-Dollar. Kann sich eine Firma bei diesen Zahlen nicht auch die Erhöhung des Anteils an festangestellten Mitarbeitern leisten? Wenn Sie sich einmal die Zeit nehmen und nachlesen wie viele Festangestellte die Firma hat, dann wird klar, welches Ausmaß das Thema Leiharbeit und damit einhergehend Wanderarbeit hat. Nun könnte man argumentieren, dass dies nicht nur bei amazon passiert, was ja auch tatsächlich stimmt. Ich muss es deshalb nicht gutheißen und ich fühle mich in der Pflicht, mein Kaufverhalten in Frage zu stellen.
Das Ergebnis dieses Prozesses ist, dass ich mein amazon Konto lösche, dass ich meine Teilnahme am Partnerprogramm kündige und dass ich, wenn die Sprache auf amazon kommt, deutlich mache, dass ich trotz neoliberaler Entwicklung in Deutschland an die soziale Marktwirtschaft glaube.
Für mich gibt es keinen Grund Geschäftspraktiken durch mein Kaufverhalten zu unterstützen, die meiner Auffassung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen diametral entgegenlaufen. Mir ist dabei durchaus bewusst, dass ich als Konsument an vielen Stellen Produktionsbedingungen unterstütze, die inakzeptabel sind. Ich bin nicht perfekt und es lässt sich noch eine Menge an meinem Konsumverhalten verändern, irgendwo muss man anfangen bzw. weitermachen.
Meine Recherchen haben mich übrigens auch auf die amerikanische Seite des amazon Shops geführt. Dort wird weiterhin ein Dachau Puzzle, bei dem man Krematoriumsöfen zusammenbauen kann und ein Ausschwitz Puzzle mit dem Logo „Arbeit macht frei“, im Sortiment geführt. Vielleicht hat eine Firma mit dieser Produktpalette tatsächlich keinen Blick für Mitarbeiter von Security Firmen die der Neonazi-Szene nahestehen.
Auf Facebook tobt ein sogenannter Shitstorm gegen die Firma. Amazon hält es bisher nicht für notwendig in einen Dialog mit betroffen reagierenden Kunden zu treten. Das ist unklug.
Wenn Sie nach der Lektüre dieses Artikels eigene Recherchen starten möchten, so bietet Wikipedia einen guten Einstieg mit zahlreichen Quellenangaben.
Hallo Margit,
konsequenterweise dürftest du dann deine Bücher z.B. gar nicht im Handel kaufen, weil der Händler (ja, auch die kleine Buchhandlung um die Ecke) bis zu 50% vom Buch kassiert und die Autoren nur 4-6%. Das ist eine Ausbeutung der Autoren.
Zudem darf man nicht vergessen das die Buchbranche, die jetzt fröhlich auf Amazon eindrischt, alles andere als vorbildlich ist im Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitern:
http://chriszim.com/2013/amazon-doku-heuchlerische-buchbranche-und-konsum
Und ich selber frage mich seit ein paar Tagen: wenn die Verhältnisse bei Amazon für viele Menschen so schlimm sind, warum haben denn so viele Menschen bei der letzten Bundestagswahl „sozial ist was Arbeit schafft“ gewählt.
Es ist ja nicht so dass Amazon etwas verbotenes tut, sie bewegen sich innerhalb des Systems. Daher müsste man konsequenterweise bei der nächsten Wahl die Parteien wählen, die das ändern wollen.
Hallo Vlad,
ich kaufe das Buch auch gerne beim Autor, wenn er es im Selbstverlag verlegt. Oder wenn er es als e-book verkauft, gerne auch direkt. Mir ist schon klar, dass es nicht ganz einfach ist, seine Bücher auf diesem Weg zu vermarkten…
Zu Deinem Einwand, warum so viele Leute „sozial ist was Arbeit schafft“ gewählt haben: Ich garantiere Dir, ich habe sie nicht gewählt.
Zu Deinem Einwand „es ist ja nicht so das Amazon etwas verbotenes tut, sie bewegen sich innerhalb des Systems“ da würde ich kurz ausholen.
Ich mochte amazon, vor allem die hohe Kundenorientierung. Es fasziniert mich sogar, wie man den logistischen Aufwand, der mit diesem Geschäftsmodell (Versandhandel) einhergeht, bewältigt. Ich habe kein Problem mit Online-Handel. Das ist mir wichtig. Ich habe aber ein Problem damit, wenn Geschäftsmodelle nur noch den Profit im Auge haben und dabei vergessen, mit wem dieser erwirtschaftet wird. Wenn z.B. von 3700 Mitarbeitern im Werk Bad Hersfeld, 2100 mit befristeten Verträgen beschäftigt sind, dann ist das eine stolze Zahl. Da sind die Menschen die als Leiharbeiter angeworben werden, noch nicht dabei. Ich habe Gelegenheit fast täglich mit Menschen zu reden, die in befristeten Arbeitsverhältnissen stehen. Das gefällt den wenigsten. Die meisten strengen sich an, versuchen eine Übernahme zu erreichen und werden dann pünktlich gekündigt, um eine Übernahme zu verhindern. Das ist nicht nur bei amazon so. Immer mehr Firmen setzen auf diese Art des wirtschaftens. Wenn dann noch dazu kommt, dass im Umgang mit Leiharbeitern jedes Gefühl für Anstand verloren geht, dann fühle ich mich schon angesprochen. Auch deshalb weil ich auf Errungenschaften wie z.B. das Betriebsverfassungsgesetz stolz bin und glaube, dass auch Leiharbeiter wie Mitarbeiter zu behandeln sind.
Zu guter Letzt: Mir ist sehr viel an einer Humanisierung der Arbeitswelt gelegen. Ich bin weder Dogmatiker, noch Perfektionist oder Gutmensch. Ich versuche nur Verantwortung zu übernehmen, wo es mir möglich scheint.