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Hochangepasste Ausführungsautomaten

 

Hochangepasste Ausführungsautomaten
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Was für eine Formulierung! Was für ein Buch! Die Rede ist von Reinhard Sprengers aktuellem Werk: Das anständige Unternehmen. Sprenger thematisiert die Art und Weise wie in Unternehmen gearbeitet wird und was daraus resultiert. Die Freiheit des Einzelnen werde extrem eingeschränkt, dies führe gesamtgesellschaftlich zur Fundamentalinfantilisierung. Er spricht von Überwachung, Bevormundung und aufdringlicher Fürsorge. In Unternehmen würden Normalstandards gesetzt, die den Mitarbeitern als wohlwollend und alternativlos verkauft würden. Er wünscht sich die Wiedereinführung des Menschen im Management. Wunderbar!

Ich höre mir sein neues Buch auf der Fahrt zur Arbeit an. Es ist zutiefst wohltuend die eigene Wahrnehmung nicht länger in Frage zu stellen, sondern in Sprenger einen „Gleichgesinnten“ gefunden zu haben. Einen der begriffen hat, dass es nicht darum geht in Unternehmen immer noch mehr Dinge (Controllingzahlen, Dokumentationspflichten) hinzuzufügen, viel eher darum zu sagen, das machen wir jetzt nicht mehr.

Er beschreibt Anstand nicht als Handwerk das man trainieren kann, sondern als Haltung. An der fehlt es immer mehr Menschen im Management aber auch bei den Mitarbeitern. Wie sonst käme es zu Entwicklungen, wie wir sie in den vergangenen Wochen bei VW mitbekommen. Wenn Manager und Mitarbeiter tatsächlich nur noch hochangepasste Ausführungsautomaten sind, die zwar die Sinnentleertheit ihres Tuns wahrnehmen, jedoch nichts unternehmen um Fehlentwicklungen zu korrigieren, dann kann dies nicht zum Unternehmenserfolg beitragen. Zu oft habe ich in letzter Zeit das Gefühl, dass es nirgends um den Kunden an sich geht, sondern darum eine Unternehmenslogik zu befriedigen, unabhängig von der Wirkung die diese hat.

Ein Beispiel: Sie sind in der Beratung tätig. Sie beraten den Kunden unter unternehmensrelevanten Aspekten. Z.B. die Zeit die sie mit dem Kunden verbringen. Nicht zu viel sollte es sein. Egal wer vor Ihnen sitzt. Das Template sagt: 45 Minuten. Sie merken in Minute 44 dass sie jetzt so langsam zum Wesentlichen kommen. Nebenbei bricht der Klient emotional zusammen. Je nachdem wie konsequent sie die Vorgaben umsetzen, sagen sie dem aufgelösten Kunden, dass er jetzt gehen muss. Der nächste wartet ja schon. Oder sie haben ausnahmsweise Mitleid und verlängern das Gespräch. Das ist zwar für den Kunden oder Klienten gut, nicht aber für „Ihre“ Zahlen. Wenn sie sich eine Beförderung wünschen, müssen sie die schon im Blick behalten. Wenn sie einfach nur gute Arbeit machen möchten, Arbeit die sie auch verantworten können, müssen sie gegen Unternehmensziele verstoßen. Man kann das jetzt noch weiterspinnen. Sie bedienen am Tag viele Kunden, aber schlecht. Das merkt das System nicht unbedingt. Das merkt irgendwann die Firma, wenn die Umsätze zurückgehen, weil die Kunden mit der erbrachten Leistung nicht mehr zufrieden sind. Es dauert ein wenig, bis sich schlechte Arbeit rächt, aber wenn es dann soweit ist, dann richtig. Sie sind hin- und hergerissen zwischen ihrem Anspruch und den Unternehmenszielen. Sie erkennen, dass sie zwar sinnvoll arbeiten, wirksam sind, dass das aber gar nicht erfasst wird.

Und nun? Wenn Sie ein paar Jahre lang so arbeiten, ist das der sichere Weg in ein Burnout. Deshalb empfehle ich Klienten beherzt:

Small Acts of Resistance

Der Begriff kommt eigentlich aus der Traumatherapie. Es handelt sich dabei um eine Vorform des Auffindens von Ressourcen. Hierbei werden Menschen ermutigt, etwas zu suchen, mit dem sie zu dem, was ihnen angetan wurde, nein sagen. Die Idee hierzu entstand dadurch, dass Menschen die Opfer von Gewalttaten werden,  häufig eingeredet wird, sie hätten dem letztlich zugestimmt. Mit der Frage „Wo hast Du dem was Dir angetan wurde, nicht zugestimmt, und sei es auch nur, dass Du mal nicht gelächelt hast, wenn man Dir Gewalt antat?“,  kommt es zur Aufwertung von scheinbar kleinen Akten des  Widerstands als einem  Für – sich – Einstehen. (siehe hierzu:“Trauma im Kontext“ von Freda Eidmann im Gespräch mit Varga von Kibed, S.163) Dieses Für-sich -Einstehen ist die notwendige Voraussetzung für das was Sprenger Anstand nennt.

Ich neige nicht dazu, institutionelle und gesellschaftliche Missstände, als Versagen des Einzelnen zu interpretieren und ausschließlich individuell zu bearbeiten. Ich weiß jedoch auch, wie schwer es ist, sich institutionellen Zwängen zu entziehen. Menschen brauchen deshalb psychologisches Handwerkszeug, um in neoliberalen Strukturen nicht unterzugehen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es Zeit wird aus der Massentrance der vermeintlichen Alternativlosigkeit aufzuwachen. Wir haben jeden Tag alle, egal an welchem Platz wir stehen oder sitzen, Wahlmöglichkeiten. Und es geht nicht immer um bleiben oder gehen. Es geht sehr oft in modernen Organisationen und Unternehmen darum, der Sand im Getriebe zu sein, der durchoptimierte Arbeitswelten wieder ein wenig bremst. Oder um es mit Sprengers Worten zu sagen: „Auch wen die distanzlosen, übergriffigen Unternehmen im Moment dominieren, wird das Pendel auch wieder in die andere Richtung ausschlagen. Weder Globalisierung noch Digitalisierung wird das Menschengemäße im Unternehmen abschaffen. Da spricht die Zuversicht des Historikers in mir: Die Freiheit hat langfristig noch immer ihr Haupt erhoben.“ (Das ganze Interview mit Dr. Reinhard Sprenger gibt es hier zum Nachlesen:

Interview zu „Das anständige Unternehmen“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein entspanntes und sorgenfreies Wochenende mit viel Abstand von der Arbeit und vom Unternehmen. Und wenn Sie sich etwas Gutes tun wollen, dann legen sie sich mit Sprengers Buch und heißer Schokolade auf die Couch. Am Montag gehen sie unter  Garantie als „Django unchained“ zur Arbeit!

 

 

7 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Es gibt Manager, die leben nach diesem Motto, ehrlich! So lange die Unternehmenszahlen und das Image stimmen, ist alles in Ordnung. Aber wer danach lebt, muss auch die Konsequenzen tragen…

  2. Das klingt nach einem Buch, das ich morgen kaufen muss.. Danke für diese Anregung! Und weiterhin…. Kleine Steine des Widerstandes ins Rollen bringen… That’s fun! 🙂 LGJ

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