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Mein Unwort des Jahres 2012: Prozessoptimierung

istockphoto / Christine Glade

Wenn Sie mich fragen würden, was für mich das Unwort des Jahres 2012 ist, dann würde ich Ihnen wie aus der Pistole geschossen antworten: Prozessoptimierung.

Als Psychologin, die einerseits eine kleine Beratungspraxis führt, andererseits in einen organisationalen Kontext eingebunden ist, erhalte ich reichlich Gelegenheit die Folgen von prozessoptimierten Unternehmen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Da sind Klienten die um Rat fragen, wenn Sie das Hamsterrad in dem Sie laufen nicht mehr aus eigenem Antrieb verlassen können. Da sind Führungskräfte, die jedes Gespür verloren zu haben scheinen, dass am Ende einer Prozesskette meist immer noch Menschen arbeiten, die vor lauter Optimierung kaum noch Luft holen können. Da bin ich, als Psychologin, irgendwo auch am Ende der Prozesskette, hechelnd, um all diejenigen zu beraten, die vor lauter Arbeit nicht mehr entspannen können…solange bis ich selbst nur noch in Zahlen von abgearbeiteten Klienten denke und dringend Urlaub brauche um mich auszuruhen.

Und dann kommt Weihnachten, Zeit der Familie und der Besinnung. Und ich besinne mich.

Ich besinne mich, dass ich immer dachte die Wirtschaft soll doch den Menschen dienen. Und sie soll diejenigen die Ihre Waren konsumieren nicht so strapazieren, dass sie monatelange Auszeiten brauchen um sich wieder in den Konsum- und Produktionsprozess einklinken zu können. Oder hab ich etwas falsch verstanden?

Und neben der Besinnung kommt die Erinnerung. Hab ich nicht irgendwann im Fach Geschichte gelernt, dass die Industrialisierung einen hohen Preis kostete. Arbeiter, Kinder, Jugendliche die in den damals neuen Fabriken 16-18 Stunden arbeiteten, an den katastrophalen Arbeitsbedingungen zu Grunde gingen und erst mit den eingeleiteten Sozialreformen Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben bekamen. Gleichzeitig lese ich von unzumutbaren Arbeitsbedingungen in asiatischen Ländern, verkneife mir das eine oder andere Schnäppchen, von dem ich weiß, dass es unter Bedingungen produziert wird, die tödlich sein können.

Die industrielle Revolution war gestern, wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution, im Übergang zur Wissensgesellschaft. Und was begegnet mir, wenn ich ein wenig surfe? Der Bundespräsident der von der immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich spricht, Blogger die von der Kluft zwischen Jung und Alt reden.

Was vermisse ich?

Ich glaube es ist das Verbindende. Das sich um den anderen kümmern. In Familien, in Firmen, in Schulen. Ein wenig scheue ich mich es Solidarität zu nennen, meine es aber letztlich.

Foto: istockphoto / Christine Glade

6 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Hallo Frau Nowotny,
    ein sehr schöner Artikel.

    Das Wort „Prozessoptimierung“ kann ich auch langsam nicht mehr hören. Mein Eindruck ist, dass besonders in Großunternehmen viele Manager immer dann vom „Prozesse optimieren“ sprechen, wenn sie keine Ahnung und keine Ideen mehr haben, wie sie ihr Unternehmen wettbewerbsfähig halten können.

    Herzliche Grüße
    Bernd Geropp

    1. Hallo Herr Geropp,
      danke für Ihren Kommentar! Ja das ist auch mein Eindruck. Und ich glaube wir sollten nicht müde werden zu verdeutlichen, dass Mitarbeiter als Galeerensklaven eher unkreativ sind. Wettbewerbsfähigkeit hat immer auch etwas mit Leidenschaft und Freude an der Arbeit zu tun, was bei zu viel Optimierung gerne übersehen wird!
      Herzlichst
      Margit Nowotny

  2. Galeerensklave ist der richtige Ausdruck! Die Mitarbeiter rotieren und rödeln, weil es einfach funktionieren muss – was es dann auch tut – , ob sie dabei krank werden interessiert keinen. Fallen Mitarbeiter wegen zu hohem Workload aus, werden sie eben ersetzt. Oft denken die meisten Vorgesetzten doch nur an ihre eigene Karriere und nicht an die der Personen, die ihnen den Rücken freihalten oder die operative Arbeit verrichten. Schade, dass es zunehmend Opportunisten in den Führungsebenen gibt, die nicht merken, wie der Prozess eigentlich besser funktinoieren könnte…

    1. Hallo Larah,
      leider kann ich Dir heute gar nicht widersprechen. Kurze Führungszyklen führen bei vielen Führungskräften dazu, dass sie eher nach dem Motto führen „nach mir die Sintflut“. Ich erlebe aber auch Ausnahmen, die dann zeigen dass ein fürsorglicher Umgang mit Mitarbeitern nicht per se die Karriere bremst. Deshalb liegt mir viel daran immer wieder zu verdeutlichen das ein menschliches Miteinander nicht zu Produktivitätseinbrüchen führt. Wünsche Dir einen guten Start ins neue Jahr!
      Herzliche Grüße
      Margit Nowotny

  3. Hallo, Margit,
    das Wort ist ja leider mittlerweile falsch besetzt, weil es mit Prozessoptimierung zumeist um „weniger Einsatz“ geht, um am Ende ein gleiches Ergebnis schaffen zu können. Was wiederum beim Faktor Mensch nicht wirklich funktionieren kann. Prozessoptimierung könnte auch bedeuten, mehr Menschen einstellen zu müssen, um ein besseres Ergebnis erzielen zu wollen. Warum nicht einen „Kümmerer“. Der fehlt in vielen Unternehmen oder Organisationen.
    Dir einen guten Rutsch in das neue Jahr! 😉
    cdv!

    1. Hallo Christian,
      ich erlebe Prozessoptimierung durch Systeme, also Kennzahlen, die nicht abbilden was geleistet wird. Durch immer ausgefeiltere Personalbemessung, dünne Besetzung kann die Arbeit gerade so geleistet werden. Wenn dann von den ohnehin schon wenigen die schon lange ziemlich viel arbeiten, welche ausfallen, dann gehen die die noch da sind irgendwann am Stock. Und natürlich halte ich nicht viel von der „Verbetriebswirtschaftlichung“ sozialer Institutionen. Mir fällt da immer das Turbofüttern in Altersheimen ein. Analog dazu die Turboberatung von Psychologen…Möglichst viele in möglichst kurzer Zeit ; )
      Freut mich von Dir zu hören und natürlich Dir auch einen guten Rutsch!
      Liebe Grüße
      Margit

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