Allgemein Psychologie für den Job Resilienz Stressmanagement

Schwierige Kollegen als Entspannungstrainer

© Sergey Nivens - Fotolia.com
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Gelegentlich halte ich Seminare zur Stress-Prävention. Stress hat im 21. Jahrhundert jeder. Das ist also nicht ungewöhnlich. Manche werden krank, andere nicht. Interessant sind diejenigen die es nicht werden.  Eine dickere Haut? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, dass man lernen kann, Stress zu bewältigen. Da wäre zuerst einmal die Interpretation eines Stressors. Ein Stressor kann eine anstrengende Kollegin sein, die es immer wieder schafft, Arbeit zu delegieren, die sie selbst nicht machen möchte. Nun reagieren Mitarbeiter unterschiedlich auf dieselbe Kollegin. Der eine verzweifelt bei dem Gefühl schon wieder Aufgaben zu machen, die nicht zu seiner eigentlichen Arbeit gehören, ärgert sich den ganzen Tag, dass auch der Chef nicht interveniert und die eigene Leistung, die sich verständlicherweise verdoppeln muss, wegen der Mehrarbeit, noch nicht einmal wahrnimmt. Solche Situationen führen über kurz oder lang zur ungesunden Variante von Stress.

Schaut man sich an, wie ein Mitarbeiter in derselben Abteilung der fordernden Kollegin die Stirn bietet und dankend jeden Auftrag nach Mehrarbeit ablehnt, so könnte man sich als Außenstehender wundern. Der Letztgenannte bleibt vermutlich gesund, er erkrankt zumindest nicht an Mehrarbeit. Was also dem Mitarbeiter, der nicht nein sagen kann, raten? Seit ich Gunther Schmidts Gedanken zu „Burnout als Kompetenz“ begriffen habe, erscheint mir folgender Ansatz vielversprechend:

Sie sehen ihre Kollegin und im Gegensatz zu früher interpretieren sie deren Erscheinen als klare Aufforderung sofort und unmittelbar tief zu entspannen.

Das klappt natürlich nicht sofort. Sie müssen üben. Und Sie brauchen ein Referenzerlebnis. Eine Situation in der sie sich absolut wohlfühlen, in der sie mit sich und der Welt im Reinen sind und die sie peu à peu auf die Kollegin zu übertragen lernen. Die Kollegin wird zum Auslösereiz für Wohlbefinden und für eine tiefe, wohlige Entspannung. Da sie meist sehr unmittelbar und ohne Vorwarnung die alte Reaktion (Stress, Anspannung etc.) aktivieren, ist es wichtig in einem geschützten Kontext die Entspannung zu üben. Also zuerst ohne die Kollegin.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen zur Arbeit, Sie erreichen Ihr Büro und noch bevor irgendjemand etwas von Ihnen will, sind Sie im Zustand der Verspannung und vermeintlichen Bedrohung, denn die Kollegin könnte ja demnächst kommen, um Aufgaben zu verteilen. Sie werden vermutlich nicht in der Lage sein, mit einem entspannten Lächeln dankend abzulehnen.

Deshalb muss es Ihnen zuerst gelingen den Zustand tiefer Entspannung relativ schnell abzurufen. Viele Menschen reagieren auf Musik, auf Gerüche, auf Gegenstände. Visualisieren Sie die optimale Entspannung und koppeln Sie sie an etwas, dass Sie mit zur Arbeit nehmen können. Ein Riechfläschchen mit dem Lieblingsduft, der letzte Sommersong den Sie am Strand gehört haben, ein Tuch oder Talisman, ganz egal. Üben Sie zu Hause zuerst, ohne an die Kollegin zu denken, ihre optimale Entspannung anzuknipsen. Wenn dies klappt, lassen Sie die Kollegin zu Hause in Ihrer Vorstellung dazukommen. Sie werden zu Beginn zurückfallen in Anspannung und Stresserleben, lernen jedoch mit wiederholtem Üben, die Entspannungssituation dominieren zu lassen. Wenn Sie hier ausreichend Sicherheit im Hin und Her switchen der beiden (!) Zustände, also Anspannung und Entspannung haben, können Sie zur Trockenübung bei der Arbeit schreiten. Also auch wieder zuerst ohne Kollegin die optimale Entspannung im Alltag erzeugen. Dann die Kollegin in der Vorstellung dazu nehmen. Und dann wagen Sie sich in die Echtsituation. Die Kollegin taucht auf. Dies ist der Weckruf in die Entspannung zu gehen. Ihre Kollegin wird zu ihrer persönlichen Entspannungstrainerin. Arbeitsaufträge lehnen Sie freundlich und bestimmt ab.

Warum funktioniert das? Sie haben in der Vergangenheit genau dasselbe gemacht. Die Kollegin tauchte auf und sie haben gelernt in Anspannung und in Gefühle von Ohnmacht bzw. Hilflosigkeit abzudriften. Sie haben damit zwar auch eine Strategie entwickelt, aber eine dysfunktionale. Es gibt keinen Grund diese Form der Konditionierung beizubehalten. Sie können sich ebenso gut von der Kollegin anregen lassen, zu entspannen anstatt anzuspannen.

Meist sind Reaktionsmuster, wie das oben beschriebene, aus einer anderen Zeit. Vielleicht aus einer Zeit in der sie nicht ohne Konsequenzen nein sagen konnten. Nach meiner Erfahrung ist es zwar erklärend, wenn man weiß, welche Personen aus der Familie oder dem engen Umfeld ähnliche Reaktionen triggern konnten, es ist jedoch nicht zwingend notwendig den Zusammenhang zu kennen. Die beschriebene Form der „Situationsneubewertung“ funktioniert auch ohne sich intensiv mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen.

Wenn Ihre emotionale Reaktion auf die Kollegin bereits sehr stark ist, sie also erhebliche Mühe haben ihre Gefühle zu kontrollieren, benötigen Sie länger um eine neue Reaktion zu lernen. Sie sollten sich deshalb nicht mit der Erwartung überfordern, dass dieser Prozess ganz schnell und leicht geht, sondern Vorbereitungszeit braucht.

Zu diesem Artikel hat mich eine Seminarteilnehmerin angeregt. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön! Wenn Sie dieses Vorgehen erfolgreich in der Praxis erprobt und die Wirksamkeit selbst erlebt haben, dann teilen sie doch den Artikel in Ihrem bevorzugten sozialen Netzwerk.

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Ich habe auch so eine Kollegin,sie reisst alles an sich, will alles wissen, micht sich überall ein…möchte immer einen Informationsvorsprung haben,obwohl wir beide auf der gleichen Hierarchieebene arbeiten. Furchtbar, ich erzähle ihr jetzt halt nicht mehr alles von meiner Arbeit und schaffe halt als wäre ich Einzelkämpfer, denn Kollegen ändern geht nicht.

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