Seit Jahren bin ich auf der Suche nach Methoden die Menschen in psychosozialen Berufen dabei unterstützen, nicht auszubrennen, also kein Burnout zu entwickeln. Nun bin ich bei Tania Singer und Matthieu Ricard fündig geworden! Es handelt sich tatsächlich um bahnbrechende Erkenntnisse. Um zu verstehen was die beiden entdeckt haben, müssen Sie zuerst den Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl verstehen. Empathie bedeutet in Resonanz zu anderen, auch zum Schmerz von anderen zu treten. In jedem helfenden Beruf gibt es empathische Menschen, die die Gefühle der anderen quasi nacherleben. Bei häufiger Wiederholung kann dies jedoch zu Gefühlserschöpfung und Hilflosigkeit führen. Krankenschwestern, Psychologen, Ärzte und Pflegepersonal mit häufigem Kontakt zu leidenden Menschen, erleben deshalb oft genau diese Form der Erschöpfung, die man als Burnout bezeichnet.
Matthieu Ricard hat in Molekularbiologie promoviert und wurde dann buddhistischer Mönch. Er verfügt über jahrelange Meditationspraxis. Tania Singer ist Direktorin der Abteilung soziale Neurowissenschaft des Max-Planck-Instituts in Leipzig und erforscht unter anderem die Entwicklung von Mitgefühl. Mitgefühl ist etwas anderes als Empathie. Diese sprachliche Unterscheidung ist wichtig, im Alltagssprachgebrauch werden beide Begriffe oft synonym verwendet.
Aber was genau ist jetzt die bahnbrechende Erkenntnis?
Mitgefühl und altruistische Liebe sind mit positiven Gefühlen verbunden. Mitgefühl führt zu couragierter und gutmütiger Entschlusskraft leidenden Menschen zu helfen. Empathie kann zu Hilflosigkeit oder Ermüdung, zu Burnout führen.
Neurowissenschaftliche Laboruntersuchungen
Matthieu Ricard bekam die Aufgabe im funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT= Veränderungen der Hirnaktivität können in Echtzeit untersucht werden) sich Menschen vorzustellen, die leiden und dabei ein starkes Empathiegefühl zu erzeugen. Der Meditierende muss in diesem Fall ca. 20 Mal zwischen unterschiedlichen Geisteszuständen hin- und herwechseln, bei dieser Versuchsanordnung zwischen Empathie und einem neutralen Zustand. Tania Singer war überrascht, dass Matthieu Ricards Hirnaktivität sich von der Hirnaktivität anderer Probanden unterschied. Es wurden andere Hirnareale stimuliert. Ricard hatte über das bedingungslose Mitgefühl meditiert und ein starkes Gefühl von Liebe und Güte gegenüber leidenden Menschen bzw. allen gefühlsbegabten Lebewesen erzeugt. Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass die Meditation über Mitgefühl andere neuronale Netzwerke aktiviert, als diejenigen die üblicherweise bei empathischen Gefühlen aktiviert werden. Meditation über Mitgefühl sorgte dafür, dass der Bereich inaktiv blieb, der mit negativen Empfindungen und Hilflosigkeit verbunden ist. Stattdessen wurden Areale aktiv, die üblicherweise mit positiven Gefühlen, wie zum Beispiel Mut, mütterlicher Liebe und Hilfsbereitschaft assoziiert sind.
ReSource – ein Trainingsprogramm
Da nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass Menschen in psychosozialen Berufen altruistische Liebe und Mitgefühl im Umgang mit Leidenden einsetzen können, hat Tania Singer zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe das Trainingsprogramm ReSource entwickelt. Einen Überblick über säkulare Trainingsprogramme gibt das kostenlose E-Book „Mitgefühl. In Alltag und Forschung“.
Ich halte die Erkenntnisse von Matthieu Ricard und Tania Singer für revolutionär. Sie könnten dazu beitragen, bereits während der Ausbildung, zukünftige Helfer zu lehren, Mitgefühl zu erlernen, anstatt sich in empathischen Reaktionen selbst zu erschöpfen. Ein bisschen enttäuscht bin ich von aktuellen Veröffentlichungen über Tania Singer und ihrem Umgang mit einigen Mitarbeitern. Diese werfen ihr vor, dass sie sich gemobbt und eingeschüchtert fühlten. Tania Singer wies diese Vorwürfe zurück, machte jedoch deutlich, dass es zu kommunikativen Schwierigkeiten wegen persönlicher Überlastung gekommen sei. Die Professorin befindet sich aktuell in einem Sabbatical.
Nachlesen können sie Details zu diesen Forschungen in einem sehr guten Übersichtsartikel von Matthieu Ricard.
Dessen Buch „Allumfassende Nächstenliebe – Altruismus, die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit“ lese ich gerade. Meine Recherchen zeigen mir, dass es sich bei diesen Forschungen nicht um Instant-Lösungen handelt, die rasch umgesetzt werden können. Es reicht vermutlich nicht ein bisschen MacMindfullness zu betreiben. Sie müssen sich auf eine längere Übungszeit einstellen. Aber irgendwann muss man ja anfangen…
Noch ein letzter Satz warum Sie so lange nichts von mir gehört haben. Ich hatte einfach keine Lust zu schreiben. Stattdessen habe ich gelesen, eine interessante Fortbildung zum Thema Glück besucht, soziale Kontakte im Real Life gepflegt und last but not least, ein wenig Urlaub gemacht 😊.
Foto: fotolia© Richard
Sehr interessant! Ob die Kultur der selbst organisierten Gesprächsgruppen nicht wieder aktiviert werden sollte? Siehe dazu die Bücher von Peter Jedlicka (Gesprächsgruppen … solidarische Psychologie … Co-Counseln ..). Könnte auch helfen!
LG Anja
Hallo Anja, danke für Deinen Beitrag! Ja, in einigen Organisationen gibt es diese Gesprächsgruppen, z.B. als kollegiale Supervision.