Manche Organisationen strahlen schon beim Betreten eine eigenartige Stimmung aus, z.B. Krankenhäuser oder Behörden. Und wenn Sie als Mitarbeiter in verschiedenen Unternehmen tätig waren, dann fallen Ihnen diese Unterschiede dadurch auf, dass ungeschriebene Gesetze existieren, wie z.B. „lautes Lachen nicht erlaubt“ oder „nicht bewegen und wenn schon bewegen, dann langsam“. Man spricht in diesem Zusammenhang von Organisationskulturen. Schwer fassbar, nirgends dokumentiert aber von allen in Unternehmen Tätigen recht schnell spürbar.
Kets de Vries, Professor für Leadership Development am European Institute of Business Administration (INSEAD) in Frankreich, einer der profiliertesten und einflussreichsten Management Vordenker Europas, geht noch einen Schritt weiter. Er untersuchte, ob in Unternehmen Verhaltensmuster bestehen, die von einzelnen Personen verursacht werden und zu einem fehlerhaften kollektiven Entscheidungsverhalten führen.
Kets de Vries identifiziert genau 5 Verhaltensmuster, von Führungskräften verursacht, die zu fehlerhaften Organisationsentscheidungen führen. Hier darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass zwischen Führungskräften und Mitarbeitern eine paradoxe Beziehungsstruktur besteht. Führungskräfte geben vor (keineswegs bewusst) rational die Leistung ihrer Mitarbeiter auszurichten. Gleichzeitig wird immer auch ein Informationsaustausch angestoßen der Wünsche, Phantasien und Emotionen der Mitarbeiter anspricht. Ein wechselseitiger Prozess von Idealisierung und Bewunderung und dem Einsatz von Macht entsteht. So erleben die wenigsten Führungskräfte korrigierende Eingriffe bei kritischen Verhaltensweisen, sondern eher schmeichelhafte Rückmeldungen. Kommt es nun zu stressauslösenden Situationen fallen die meisten Menschen auf eher regressive Verhaltensmuster zurück. Bei Führungskräften führt dies zu einer Verstärkung neurotischer Stile mit entsprechenden Auswirkungen auf eine Organisation. Bleibt dieser neurotische Einfluss über einen längeren Zeitraum stabil, kommt es zu organisatorischen Defekten. Von de Vries beschrieben als dramatische, paranoide, schizoide, zwanghafte oder depressive Organisation.
Was die dramatische Organisation auszeichnet:
Impulsivität und Abenteuerlust, Hyperaktivität und Hemmungslosigkeit. Entscheidungsträger sind weniger von Tatsachen als von Verdächtigungen und Eindrücken geleitet. Häufig erlebt man zentralistische Macht an der Organisationsspitze, um die einmal erhaltene Aufmerksamkeit möglichst dauerhaft aufrechtzuerhalten. Eine echte Ausrichtung auf Marktbedingungen erfolgt nicht, die Organisation schafft sich ihre eigene Umwelt. Extreme Wachstumsziele und riskante Operationen sind charakteristisch.
Die paranoide Organisation:
Hier wird organisatorische Kontrolle überbetont. Misstrauen und Verdächtigungen der Führung begünstigen die Einrichtung überzogener Controllingmassnahmen. In diesen Organisationen wird alles gemessen, die Aussagekraft der Daten bleibt schließlich auf der Strecke. Getrieben werden die Verantwortlichen durch das Bedürfnis permanent auf Notfälle vorbereitet zu sein, was für gewöhnlich nicht möglich und auch nicht nötig ist und durch die Implementation einer erhöhten Fehlertoleranz sinnvoller angegangen werden könnte. Zu dieser Organisationspathologie kommt meist ein extremer Konservativismus, bedingt durch die Angst vor Innovationen.
Die schizoide Organisation
Hier herrscht meist ein Führungsvakuum bedingt durch Rückzugstendenzen der obersten Führungskraft. Der Konflikt liegt hier in dem Gefühl, dass Interaktionen mit anderen im Unternehmen zum Scheitern verurteilt sind und Distanz der bessere Weg ist. Die zweite Führungsebene wird zum Schlachtfeld, um die eigene Karriere voranzutreiben. In der Konsequenz werden strategische Ziele nicht umgesetzt, eine effektive Koordination und Kommunikation ist nicht möglich. Der Aktivitätsfokus der Organisation wird nicht nach außen auf den Markt ausgerichtet, sondern nach innen verlegt.
Die zwanghafte Organisation
Sie ist geprägt durch Rituale und Detailplanung gepaart mit Gründlichkeit und Konformität. Im Mittelpunkt stehen Kontroll -und Informationssysteme, der Fokus ist nach innen gerichtet. Strategisch wir nur ein eng begrenzter Bereich angegangen. Gegenüber Veränderung ist die Organisation nicht offen, eine Orientierung an der Außenwelt erfolgt kaum noch.
Die depressive Organisation
Hier steht Inaktivität und ein massives Vertrauensdefizit im Vordergrund. Passivität der Mitarbeiter, mangelndes Interesse an der Außenwelt und den Marktbedingungen, starke Innenorientierung. Bei den dominanten Führungskräften liegt meist ein schwach ausgeprägter Selbstwert vor, Leitung erfolgt ziellos.
Pathologische Kulturen sind letztlich erfolgsverhindernd. Insbesondere bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter werden sie zukünftig mit größeren Schwierigkeiten zu rechnen haben. Die Generation Y wird sich solchen Kulturpathologien zu entziehen wissen, durch alternative Arbeitsmodelle, Teilzeitlösungen oder Kündigung.
Externes Coaching, d.h. der Coach ist nicht Teil der Organisation, kann Führungskräfte für diese Effekte sensibilisieren. Der Coach bekommt hier die Funktion des Hofnarren, der es wagt Führungskräften bei der Selbstwahrnehmung behilflich zu sein. Internes Coaching erscheint bei der Bearbeitung von Organisationspathologien nicht möglich. Welcher Coach sägt schon den Ast ab auf dem er sitzt!
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Foto: istockphoto/ nyul
@Autorin
Nun, Ihre Thematisierung fand ich anregend, Ihr Typologie weniger. Einer meiner New Yorker Dozenten, Luis Coser [geb. als Ludwig Cohn in Berlin] hat vor Jahrzehnten die Formel GREEDY INSTITUTION ausgeprägt, ich selbst veröffentlichte über den was Exklusion betrifft wichtigsten „corporate actor“ und würde Focussierung auf den Zentralaspekt der Pathologie(sierung) auch bei Organisationen empfehlen. Wobei durchaus Anschluß an L. Kröber Definition von Pathologie möglich wäre, dort geht es auch um Interessensdruchsertzung zum Schaden anderer:
„Als Psychopathen bezeichnet man gesunde, nicht geisteskranke Personen, die auf den ersten Blick anderen Leuten nicht auffallen, die aber bei näherer Betrachtung sich dadurch auszeichnen, dass sie in einem ungewöhnlichen Maß angstfrei sind, was nicht dasselbe ist wie leichtsinnig. Sondern sie können sich an äußeren Begebenheiten orientieren und ihr Verhalten rational und planmäßig einrichten. Es sind Menschen, die manchmal ein sehr stabiles Selbstbewusstsein haben und eine hohe Bereitschaft, sich mit ihren eigenen Interessen durchzusetzen, im Zweifel auf Kosten anderer. Es berührt sie dann auch nicht, wenn andere unter ihrem Erfolg zu leiden haben.“
http://www.swr.de/swr2/wissen/das-muster-der-psychopathie/-/id=661224/nid=661224/did=11167816/vz7oi2/index.html
Mit freundlichem Gruß (meine e-Adresse haben Sie ja), Brian
Hallo Brian,
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Das Konstrukt der „Greedy Institution“ kannte ich bisher nicht. Das schaue ich mir genauer an. Ich stimme mit Ihnen überein, dass die Konzentration auf den Zentralaspekt meist Sinn macht und stark erklärend wirkt. Ich habe mich in diesem Zusammenhang mit den Arbeiten von Robert D. Hare und Paul Babiak (Menschenschinder oder Manager – Psychopathen bei der Arbeit) beschäftigt. Gerne können sie über die Kommentarfunktion auf eigene Publikationen im Zusammenhang mit der Thematik verweisen.
Herzlichst
Margit Nowotny