…oder warum Führungsverantwortung die Persönlichkeit verändern kann.
Vielleicht haben Sie selbst schon die Erfahrung gemacht, dass aus ursprünglich netten, umgänglichen Kollegen Vorgesetzte werden, die jede Form des Anstands verloren zu haben scheinen. Sie benehmen sich gegenüber ihren Mitarbeitern wenig motivationsfördernd, teilweise kommt es im Umgang mit Untergebenen zu distanz-und respektlosem Verhalten. In diesem Artikel versuche ich der Frage nachzugehen, welche Faktoren eine Entgleisung von Führungskräften begünstigen und wie sie sich als Mitarbeiter aber auch als Führungskraft davor schützen können.
Trotz sorgfältiger Auswahl von Führungskräften ist es nicht ganz einfach, wenn nicht sogar unmöglich, das Verhalten einer Führungskraft im Verlauf der Führungstätigkeit vorherzusagen. Es mehren sich jedoch die Hinweise dass Entgleisungen bei Führungskräften zunehmen. Hier besteht ein Zusammenhang zwischen immer komplexer werdenden Anforderungen und der individuellen Fähigkeit mit diesen Anforderungen umzugehen. Zu Beginn der Übernahme einer Führungsfunktion steigern viele Führungskräfte ihre Leistung und Zufriedenheit, mit der Zeit beginnt jedoch die Leistung nachzulassen. Man kann in diesem Zusammenhang klassische Stressmanagement – Effekte wahrnehmen: Wenn die Anforderungen an eine Person die individuell wahrgenommen Bewältigungsstrategien übersteigen, kommt es zur Krise und damit zur Gefahr des Derailments, also der Entgleisung der Führungskraft. Es handelt sich quasi um das Produkt einer länger anhaltenden Überforderungssituation.
Aber was genau geschieht beim Prozess des Entgleisens?
Hierzu ist es notwendig die grundsätzliche Frage, ob sich die Persönlichkeit einer Führungskraft durch Übernahme einer Führungsposition verändert, zu stellen.
Nach meiner Erfahrung und offensichtlich auch nach der Erfahrung von Rainer Bäcker tut sie dies in jedem Fall. Zu klären ist nur, ob es sich hierbei um eine positive oder um eine negative Veränderung handelt.
Die Entwicklung der Persönlichkeit als Produkt von Führung hängt entscheidend von der Fähigkeit zur Reflektion des eigenen Verhaltens bei der Übernahme von Macht ab. Übernahme von Macht erfordert auch die Übernahme von Verantwortung für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Führung geht zwangsläufig mit Aspekten von Macht und Ohnmacht einher, weshalb es für Führungskräfte nicht unerheblich ist, ob es ihnen gelingt die Wirkung von Macht auf die eigene Persönlichkeit professionell zu reflektieren. Und hier mache ich seit vielen Jahren ähnliche Beobachtungen: Es kommt im Zusammenhang mit der Reflektion des eigenen Verhaltens zur Entstehung eines „blinden Flecks“. Damit ist gemeint, dass als Resultat der eingangs beschriebenen Überforderungssituation eine Entgleisung auf der kognitiven Ebene, auf der Ebene der sozialen Wahrnehmung und auf der Ebene der adäquaten Erfassung des Selbst begünstigt wird. (Möller, 2012; Bäcker 2009). Mit der Höhe der Anforderungen an eine Führungskraft scheint die Fähigkeit zu strategischer Rationalität zu schwinden. Hinweise können nicht mehr korrekt verarbeitet werden weshalb Situationen falsch bewertet werden. Sehr gut beschrieben wird dieser Prozess von Möller. Ihr zufolge sind betroffene Führungskräfte dann nicht mehr in der Lage Abhängigkeiten und Interdependenzen zu erfassen, sie können nicht mehr die erforderliche Abstraktionsleistung erbringen um Zusammenhänge zu erfassen. Um dieser Form der kognitiven Überforderung zu begegnen kommt es zur Ausblendung von Informationen oder zu einem Rückfall in vereinfachende Denkschemata. Ebenfalls möglich ist die Weigerung sich mit Strategien und Visionen im Zusammenhang mit der Führungstätigkeit zu befassen. Hat eine betroffene Führungskraft die Überforderungssituation bereits erkannt, kommt es häufig zu Detailorientierung und Kontrollverhalten in der Hoffnung eine Situation wieder kontrollieren zu können. Möller beschreibt in ihrem Artikel an Hand mehrerer Fallbeispiele wie sich dies auswirken kann.
„Fallbeispiel: Herr H. ist es nicht gelungen, die informellen Führer seines Teams für sich zu gewinnen. Frustriert und beleidigt geht er davon aus, dass sein Team sich gegen ihn verschworen hat. Gegenüber seinen Kollegen beschwert er sich, seine Mitarbeiter seien unfähig und veränderungsresistent. Herr H. beschließt ein detailliertes Reporting- und Kontrollsystem einzuführen, um sicherzustellen, dass er über alle wesentlichen Vorgänge informiert ist.“ (Möller, 2012)
Bei dieser Form der Entgleisung handelt es um die Ebene der adäquaten Erfassung des Selbst. Kritik wird ignoriert, die eigenen Grenzen werden nicht adäquat erfasst. Selbst und Fremdeinschätzung entwickeln sich auseinander, die Selbstregulation wird erschwert. Um die Situation wieder kontrollieren zu können kommt es zur emotionalen Distanzierung oder zu extrem hohen Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit. Für betroffene Mitarbeiter bedeutet dies dann oft, dass sie mit zusätzlichen Aufgaben versorgt werden, als Resultat der entgleisten Leistungserwartung. Desweiteren kann eine Form der Selbstüberschätzung bei betroffenen Führungskräften wahrgenommen werden, kaum bewältigbare organisational bedingte Leistungserwartungen von Mitarbeiter einzufordern, ohne die grundsätzliche Arbeitsgestaltung zu überdenken oder gar in Frage zu stellen. Hier kommen erschwerend Aspekte der Anpassung von Führungskräften an organisationale Normen in Form der Übernahme von Rollenerwartungen, als Produkt organisationaler Zwänge, hinzu. Diese würden die Fähigkeit in Distanz zu sich und den verschiedenen Berufs- und Privatrollen zu gehen, erforderlich machen, was dann jedoch meist bedingt durch die Überforderung kaum noch möglich ist. Hier kann sicher durch professionelle Beratung unterstützt werden, diese wird von den Betroffenen häufig jedoch als nicht notwendig erlebt.
Kosten schlechter Führung
Für Unternehmen stellen entgleiste Führungskräfte einen erheblichen Kostenfaktor dar. So erhöht sich der Krankenstand der Mitarbeiter um Durchschnitt um 2% was einer Zunahme von 4 Fehltagen entspricht. Wählt man als Vergleichsgröße die Automobilindustrie so verursacht die Zunahme des Krankenstandes von Mitarbeitern pro Tag Kosten in Höhe von 300,00 €. Legt man eine Mitarbeitergröße von 2700 Mitarbeitern zugrunde, von denen jeder im Jahr 4 Tage mehr fehlt als andernorts, so belaufen sich die Kosten schlechter Führung auf 3.240.000,00 € pro Jahr. (WiWo 38/08; zit. nach Personaler Online)
Entgleiste Führungskräfte stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die ihnen unterstellten Mitarbeiter dar. So kann es zu einem Klima der Angst und Verunsicherung kommen das demotivierend wirkt und zu „Dienst nach Vorschrift“ oder zur inneren Kündigung führt. Langfristig kann auch eine erhöhte Mitarbeiterfluktuation die Folge sein. Ausführlich beschrieben werden die Folgen schlechter Führung bei Walter Kromm und Gunter Frank. (Literaturhinweis am Ende des Artikels)
Was können Mitarbeiter die es mit einer entgleisten Führungskraft zu tun haben, tun?
Wenig sinnvoll ist das Ansprechen der Problematik. Das Problem kann meist nicht auf einer rational-sachlichen Ebene gelöst werden.
Leider gibt es keine schnellen Lösungen. Als betroffener Mitarbeiter sollten sie für sich ausloten, ob sie in eine andere Abteilung wechseln können, ob sie sich eine neue Arbeitsstelle suchen oder ob sie Talent zum Hofnarr haben. Dies ist keineswegs zynisch gemeint. Wenn es Ihnen gelingt humorvoll ein Gegengewicht zur Macht zu entwickeln im Sinne „des Narren, als Künder der Wahrheit“ (Kets de Vries, 2009) um dadurch Veränderung zu bewirken, dann kann ihnen dies das Überleben mit einer entgleisten Führungskraft erleichtern. Ich habe in den vergangenen Jahren in Organisationen höchst intelligente Menschen in der Rolle des Narren erlebt. Es gelang ihnen auf humorvolle Weise angespannte Situationen zu thematisieren, auf Missstände aufmerksam zu machen, stets mit der Gefahr des für Narren erhöhten Berufsrisikos des Geköpftwerdens – was auf Neudeutsch einer Entlassung entspricht. Dass dies keine Strategie für alle ist, leuchtet ein. Strategien zum Umgang mit entgleisten Führungskräften können nur individuell sein. Hilfreich ist hierbei manchmal der externe Coach, der mit unverstelltem Blick die Situation analysieren hilft, um geeignete Lösungen zu finden.
Wenn sie selbst Erfahrung im Umgang mit entgleisten Führungskräften haben, dann könnten andere von Ihren Strategien profitieren. Ich freue mich, wenn Sie einen Kommentar hinterlassen. Oder wenn Sie den Artikel weiter empfehlen. Auch das Teilen in sozialen Netzwerken ist ausdrücklich erwünscht.
Zu diesem Artikel hat mich eine Führungskraft inspiriert, außerdem die Artikel von Heidi Möller, Rabea C. Haag und Rainer Bäcker und die Bücher von Walter Kromm, Gunter Frank und Kets de Vries.
Unternehmensressource Gesundheit – Weshalb die Folgen schlechter Führung kein Arzt heilen kann, Walter Kromm, Gunter Frank (Hrsg.), 2009
Führer, Narren und Hochstapler – Die Psychologie der Führung,Manfred F. R. Kets de Vries, 2009